Verehrte Muslime!
Jeder Muslim möchte die Zufriedenheit und das Wohlgefallen Allahs erreichen. Dabei spielt die Qualität des Îmâns, der Ibâdas und des Ahlâks eine wichtige Rolle. Zwischen ihnen besteht eine enge Verbindung: Die Qualität unserer Ibâdas weist nämlich auf die Stärke unseres Îmâns hin. Unser Ahlâk hingegen ist ein Spiegelbild unseres Îmâns.
Hayâ, also die Schamhaftigkeit, ist unserem Propheten zufolge ein Teil des Ahlâks, der islamischen Moral.[1] Mit Hayâ ist die Bescheidenheit gemeint, die den Muslim von allem Schlechten zurückhält. Hayâ stammt von dem Arabischen „Hayât“, was „Leben“ bedeutet. In Anlehnung an die Wortbedeutung sagten muslimische Gelehrte: Ohne Hayâ kein Hayât.[2] In diesem Zusammenhang ermahnte uns unser Prophet mit den Worten: „Wenn du dich nicht schämst, so tue, was du willst.“[3]
Liebe Geschwister!
In dem Vers zu Beginn der Hutba betont Allah die Wichtigkeit von Hayâ. Als unser Prophet, Muhammad (s), mit Zaynab (r) heiratete, gaben sie ihren Gästen ein Hochzeitmahl. Nachdem die Gäste gegessen und getrunken hatten, saßen sie eine lange Weile bei dem Propheten und unterhielten sich. Diese Situation kränkte den Propheten, doch seine Bescheidenheit hinderte ihn daran, die Gäste raus zu bitten. Er wollte sie nicht verletzen. Als am späten Abend die letzten drei Gäste das Haus verließen und der Prophet sich ins Schlafzimmer begab, wurde ihm folgender Vers herabgesandt: „O ihr, die ihr glaubt! Tretet nicht in die Gemächer des Propheten ein, sofern ihr nicht eingeladen seid für ein Mahl. Doch kommt nicht (zu früh), um auf seine Zubereitung zu warten. Wenn ihr jedoch dazu aufgefordert werdet, dann tretet ein. Und wenn ihr gespeist habt, geht auseinander, statt euch in Unterhaltung zu verlieren. Siehe, dies würde dem Propheten Verdruss bereiten, aber er könnte zu scheu sein, (zum Gehen aufzufordern). Allah aber scheut die Wahrheit nicht.“[4]
Verehrte Muslime!
Allah legt in diesem Koranvers den Rahmen für Hayâ fest. Hayâ soll nicht dazu führen, dass wir andere damit kränken. Und wenn wir in eine Situation geraten, in der wir durch andere gekränkt werden, sollen wir uns in Geduld und Nachsicht üben. Die Gefährten des Propheten berichten, dass er äußerst bescheiden war. Gab es etwas, was er nicht mochte, konnte man ihm das ansehen. Abû Hurayra (r) beschreibt ihn folgendermaßen: „Der Gesandte Allahs hat niemals ein Essen kritisiert. Wenn er es mochte, aß er davon, anderenfalls unterließ er es.“[5] Unser Prophet war so bescheiden, dass die Gäste ihre Unachtsamkeit nicht bemerkt hatten, bis Allah sie durch den Vers ermahnte.
Liebe Geschwister!
Aus dem Koran und den Hadithen wissen wir nun, dass Hayâ eine grundlegende Eigenschaft ist, die den Menschen ausmacht. Jeder Muslim soll seinen Hayâ hinterfragen. Das heißt: Jeder soll sich die Frage stellen, ob er sich im Umgang mit Menschen bescheiden verhält und ob er Hayâ auch gegenüber Allah empfindet oder sich vielleicht unverschämt verhält. Nach diesen Kriterien soll der Muslim seinen Hayâ prüfen. Dann soll er überlegen, wie er seinen Zustand verbessern kann. Denn, wer öffentlich oder insgeheim sündigt, ohne dabei Allah zu fürchten oder sich vor den Menschen zu schämen, der schadet sich damit selbst und der Gesellschaft, in der er lebt. Auf diese Weise tun wir unserer Welt Schlechtes an und das wiederum kann dazu führen, dass wir unser Jenseits verlieren. Am Jüngsten Tag werden wir für jede unserer Tat zur Rechenschaft gezogen, die zu Sünde geführt hat und durch die wir andere zu einer Sünde verleitetet haben. Wenn wir in beiden Welten Glückseligkeit wollen, müssen wir uns vor solchen Sünden schützen. Der Sufi-Gelehrter Dschunayd Bağdâdî sagte einmal: „Hayâ ist, wenn der Mensch auf die Gaben Allahs schaut, mit denen er ihn versorgt, und dann auf seine eigenen Sünden blickt.“[6]
Aus dieser Weisheit lernen wir folgendes: Um unseren Hayâ zu stärken, genügt es, wenn wir auf die reichliche Versorgung Allahs blicken und sie mit unseren mangelhaften Ibâdas vergleichen. Diese Stufe der Erkenntnis soll uns an unsere Schwäche vor Allah erinnern und unseren Hayâ stärken.
Mögen wir zu jenen Muslimen gehören, die voller Hayâ sind und dem Propheten darin nachkommen. Âmîn!
[1] Vgl. Sahîh al-Buhârî, Hadith Nr. 24
[2] Vgl. Ibn al-Kayyim, Madâridsch as-Sâlikîn, S. 491
[3] Sahîh al-Buhârî, Hadith Nr. 6120
[4] Sure Ahzab, 33:53
[5] Sahîh al-Buhârî, Hadith Nr. 6102; Sahîh al-Muslim, Hadith Nr. 2320
[6] Vgl. Nawawî, Riyâz as-Sâlihîn, 84, Hayâ, S. 230
Hutba-Eigenschaften des Gläubigen – Haya
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